"Guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint Sie so sehr?“ "Ach," antwortete das Mädchen, "Ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe das nicht.“
Nicht nur im Märchen kann das Leben mitunter so seine Tücken haben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn wir die Messlatte mit Ansprüchen und Erwartungen zu hoch legen und geplante Vorhaben selbst beim besten Willen nicht erfüllen können. Wobei die Sache mit dem „Willen“ ja ohnehin eine Angelegenheit für sich ist, denn wie wir alle wissen ist “der Geist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Meint nichts anderes als: Wir brechen gute Vorsätze allzu oft aus Bequemlichkeit und Schwäche. Wenn man dann schlussendlich auch noch fragwürdigen Support in Anspruch nimmt, ist das Ende meistens kein gutes. Wie eben auch im Märchen „Rumpelstilzchen“, wo ein Vater seine Tochter einem geldgierigen König schmackhaft macht, indem er sie sozusagen aus Marketinggründen absatzfördernd mit einer praktischen, aber leider de facto nicht vorhandenen Gabe versieht. Ganz ehrlich, sowas endet sowohl im Märchen als auch in der Realität bestenfalls mit Stress und Frustration, aber selten gut.
Auch wenn „Neujahr“ uns eine Art „Carte Blanche“ suggeriert, die alles auf Anfang stellt, macht ein einziger Tag natürlich keinen Unterschied. Dinge, die für uns am Silvesterabend eine Rolle spielen, tun dies auch am ersten Tag des neuen Jahres. Rahmenbedingungen ändern sich nicht über Nacht und Probleme lösen sich nicht in Luft auf. Nichtsdestotrotz ist es für mich sinnvoll, immer mal wieder innezuhalten und darüber nachzudenken, was mir wirklich wichtig ist, welche Ziele und Wünsche ich verwirklichen möchte oder kann. Ich schreibe zum Beispiel jedes Jahr zu Silvester drei Wünsche für das neue Jahr auf einen kleinen Zettel und schieße sie mit einer glitzernden Rakete ins Wunschuniversum. Psychologen nennen dies übrigens Manifestation: Durch das Aufschreiben und Visualisieren von Wünschen wird man unbewusst alles tun, um den Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen und zumindest nichts tun, was das Ziel verhindert. Natürlich sind damit keine Bestellungen wie an der Fleischtheke gemeint, z.B. dass man innerhalb der nächsten zwei Monate mindestens drei Millionen auf dem Konto, 20 Kilo weniger auf den Rippen, eine Oligarchen-Yacht im nächsten Hafen und Frieden auf der ganzen Welt. Oder dass man aus einem Haufen Stroh über Nacht eine Kammer voll Gold spinnen kann. Aber etwas bodenständiger funktioniert. Ich habe mir zum Beispiel schönes Wetter im Juni (da bin ich eine Woche in Dänemark), Gesundheit (kann man immer gebrauchen) und die eine oder andere spannende Veranstaltung im Laufe diesen Jahres gewünscht.
Ich schätze, dass an jedem Neujahrstag Milliarden von guten Vorsätzen gefasst und die meisten bereits nach einer Woche wieder gebrochen werden. Weil sie unrealistisch sind, und das tägliche Leben nun mal nicht märchenhaft, sondern meistens leider anstrengend ist. Nichtsdestotrotz bedeutet das natürlich nicht, dass wir deswegen tatenlos und wie die Müllerstochter heulend in der Ecke sitzen sollten. Bessere Zeiten kommen nicht, weil man darauf wartet, sondern weil man bereit ist, etwas dafür zu tun oder auf ein paar Dinge zu verzichten. Ich denke, mit realistischen Wünschen, Entschlossenheit, Engagement, Durchhaltevermögen und ein paar klugen Strategien, kann man dem Strohhaufen des täglichen Lebens nach wie vor etliche Goldmomente abgewinnen. Neujahrsvorsätze sind schön und gut, jedoch sollten es für das seelische Wohlbefinden erreichbare Ziele sein, die man Schritt für Schritt und ohne zusätzlichen Druck umsetzen kann. Übrigens, statt die Messlatte meiner Wünsche ins unerreichbare Nichts zu legen, bin ich nicht mit einem Haufen sinnlosen Strohs ins neue Jahr gestartet, sondern mit einem Flakon von Thomas de Monacos „Raw Gold“. Ein Duft, von dem de Monaco sagt, dass er einen Glow hat, der leuchtet, wenn man mit ihm einen Raum betritt. Wenn das nicht märchenhaft ist, weiß ich es auch nicht.