Fegefeuer der Eitelkeiten

October 14, 2025

2016 war ich das letzte Mal auf einer Duftmesse – damals die Pitti Fragranze in Florenz. Bereits nach einem Tag hatte ich einen massiven Geruchsoverflow, Niesattacken und Kopfschmerzen. Vor allem aber: schlimmste Übellaunigkeit. Der Grund? Ich hatte es selbst nach mehreren Versuchen nicht geschafft, einen Blick auf die Neuheiten jener Marken zu werfen, die ich damals in meinem Laden führte. Die Messestände waren dicht umlagert von Influencern, während Monsieur le Parfumeur hauptsächlich damit beschäftigt war, den unzähligen Anfragen nach Gruppen-Selfies nachzukommen. Mein Fazit damals: Die nicht unerheblichen Kosten für Flug und Hotel lassen sich sinnvoller in einen Kurzurlaub investieren, und die Neulancierungen erreichen mich auch ohne Messebesuch.


Vor zwei Wochen war ich nach fast zehn Jahren Abstinenz wieder auf einer Messe: auf der TFWA World Exhibition & Conference in Cannes, um genau zu sein. Ursprünglich konzipiert als Veranstaltung für die globale Reiseeinzelhandelsbranche - landläufig auch Duty-Free-Shops genannt - hat sich die TFWA in den letzten Jahren zu einem internationalen Treffpunkt der Luxus-Parfumbranche gemausert, inklusive einiger Besonderheiten.


In Cannes trifft man sich nämlich nicht in Messehallen, sondern zu individuellen Terminen mit den Marken, bzw. deren Vertretern. Entweder in den Suiten der Luxushotels entlang der Croisette, in angemieteten Apartments, auf einer zum Showroom umfunktionierten Yacht oder zu einem Café au Lait in einem der unzähligen Bistros. Und abends geht man dann zu einer der zahlreichen Partys oder Cocktailempfängen - sofern man in den Genuss einer Einladung kommt. Soweit, so exklusiv.


Schon der Auftakt am ersten Abend war nach Maß: Eine Party zur Lancierung des neuesten Duftes von Jovoy, "Ha Long Bay". Der Dresscode: "All White". Die Location: ein exklusiver Beachclub an der Croisette. Für mich bedeutete das nach der Landung in Nizza: Kleiderwechsel und Make-up in der Airporttoilette (klingt schlimmer als es tatsächlich war), um sodann mitsamt Koffer und Taschen mit dem Taxi „All white“ 45 Minuten nach Cannes zu fahren. Strenge Einlasskontrolle am Eingang, dafür ich (mitsamt unübersehbarem Rollkoffer) inmitten einer illustren Gesellschaft von allseits bekannten Branchengrößen. Nachdem ich meinen Koffer Gott sei Dank deponieren konnte, gab es einen original vietnamesischen Strohhut nebst Foto vor der obligatorischen Sponsorenwand - Champagner und ein Hauch Filmfest-Glamour inklusive.


Mit anderen Worten: Ich war Teil eines perfekt choreografierten Gesellschaftsspiels. Frei nach Tom Wolfe eine Art "Fegefeuer der Eitelkeiten" der Parfumwelt: Jeder wollte dabei sein und keiner übersehen werden. Status, Zugehörigkeit und Selbstinszenierung waren so eng miteinander verwoben, dass man seine Einladung wie eine Trophäe und den Terminplan der kommenden Tage wie ein Mantra hütete. Keine Frage: Hier feierte sich die Branche mit ihren prominentesten Köpfen … in erster Linie selbst. Auf mich wirkte das ebenso faszinierend wie leicht bizarr. Spannend und sehenswert war es allemal – nicht zuletzt wegen eines sensationellen Feuerwerks, das von einem Boot in der Bucht abgebrannt wurde. Um den neuen Jovoy-Duft ging es dabei nur am Rande; den bekam man eher beiläufig in der Goodiebag beim Hinausgehen.


Und so sollte es die nächsten zwei Tage weitergehen: Zwischen Lounges, Luxussuiten und Rooftop-Terrassen wurde weniger gerochen als vielmehr performt. Marken polierten ihre Aura, und die allgegenwärtigen Influencer spiegelten sich in ihrem Glanz. Gespräche klangen nach Business, waren jedoch meist Beziehungsmarketing. Und während sich alle in ihrer gegenseitigen Bedeutsamkeit sonnten, ging der eigentliche Anlass des Treffens - das Parfum - erstaunlich oft als Deko in einem Display unter oder wurden manchmal so seelenlos präsentiert, als handle es sich um Finanzprodukte. Gespräche erfolgten nach dem Gießkannenprinzip: Freundlich, aber ohne jedes Briefing und ohne Wissen darüber, wen man da eigentlich eingeladen hat. Für mich sagen solche Szenen sagen mehr über den Zustand der Branche aus als jede Pressemitteilung. In Cannes trifft man auf eine neue Duftelite mit Brands, die sich für Luxus-Avantgarde halten, und Influencern, die so sehr dazugehören wollen, dass man kaum erkennt, wer hier wen hofiert. Während die einen Reichweite suchen, wollen die anderen Relevanz. Wobei beides allzu oft mit Bedeutung verwechselt wird. 


Zwischen all dem Getöse und den übervollen Tagen fiel mir vor allem eines auf: Sehr viel Wollen und manchmal erstaunlich wenig Handwerk und Professionalität. Die Grenze zwischen Fandom und Commitment verläuft unscharf. Viele der sogenannten Influencer sind schlicht Sammler mit Kamera, die Parfum lieben, aber nichts hinterfragen. Auf der anderen Seite stehen Marken, die Aufmerksamkeit mit Wertschätzung verwechseln und lieber Goodiebags verteilen, als die Chance auf echte Beziehungen zu nutzen.
Dabei gibt es sie, die berühmten Ausnahmen von der Regel. Manchmal öffnet sich eine Tür, und man befindet sich in einer anderen Welt. Wenn beispielsweise der Gründer von L’Objet, Elad Yifrach, über seine kreative Vision erzählt und so gar nicht über Reichweite und Massenkompatibilität nachdenkt. Sobdern ruhig und konzentriert erklärt, warum ein Duft mehr ist als ein Accessoire, und erkennen lässt, dass er in die Konzeption seiner Düfte dieselbe Präzision legt wie in die Kreation seiner Designobjekte. Ebenso das Treffen mit Thomas de Monaco: Kein Gelärme, kein Name-Dropping, keine Effekte. Ein Gespräch auf Augenhöhe und die Präsentation einer Marke, die bis ins kleinste Detail durchdacht ist. Da ist sie, die Professionalität, von der so viele sprechen und so wenige wissen, wie sie sich anfühlt. Kein Schaulaufen, kein „Networking“ – einfach ehrliches Commitment und Haltung. 


Plötzlich ist da etwas, das so selten vorkommt: Dialog, Interesse und Konzentration. Qualitäten, die im Algorithmus der Aufmerksamkeitsökonomie kaum mehr vorkommen, weil sie keine Reichweite generieren. Dabei wäre genau das die Basis einer ernstzunehmenden Duftkultur: Gegenseitiger Respekt, Vorbereitung, Wissen.
Wenn Sie mich fragen, ist das eigentliche Problem der Branche nicht der allgegenwärtige Narzissmus. Der ist irgendwo menschlich, manchmal sogar charmant. Problematisch wird es, wenn Eitelkeit zur Methode wird – wenn alle performen, aber niemand mehr präsent ist. Wenn der Duft nur noch Vorwand ist, um gesehen zu werden und um wichtig zu sein. Wenn Professionalität durch Pose ersetzt wird.


Ich erinnere mich beispielsweise an Céline Verleure, die 2010 über ihren Facebook-Account ein Projekt ankündigte „für ein Parfum, das noch nicht existiert“. Das war damals kein Influencer-Marketingtrick, sondern ein Experiment, aus dem Olfactive Studio entstand - eine Marke, die mit einem Dialog in der Parfum Community startete. Zu einer Zeit, in der man Marken grundsätzlich aus Überzeugung folgte und nicht aus Kalkül. 


Möglicherweise liegt der wahre Luxus heute in der Authentizität - und nicht in einer Goodiebag. In Gesprächen ohne Ringlicht, mit Menschen, die zuhören und wissen, dass Parfum nicht dafür erfunden wurde, gefilmt zu werden, sondern erlebt zu werden. Bleibt die Frage, ob ich auch im nächsten Jahr wieder dabei sein werde.Warum nicht. Das Wetter war großartig, Cannes ist wunderschön, und ich habe mich wirklich gefreut, einige Menschen zu treffen, die ich lange nicht gesehen hatte.

Christiane Behmann

Christiane Behmann holds a degree in social sciences and copywriting. After working for many years as a press officer for various companies, she ventured into self-employment in 2000 with her own advertising agency. In 2007, she founded the "Archive for Fragrance & Fine Essences" and was one of Germany's first bloggers at the time. Since 2009, she has also owned the Duftcontor in Oldenburg and is now back in her old profession.