Kennen Sie diese Momente, in denen das Leben federleicht scheint? Augenblicke, in denen gestern, heute oder morgen keine Rolle spielen und man spürt, dass das Leben mit all seinen Möglichkeiten noch offen ist. So, als wäre man gerade 16 und das Wort „Zukunft“ hätte keinerlei Bedeutung für die Gegenwart. Ich hatte einen solchen Moment vor einer Woche, als ich eine laue Sommernacht mit alten Freunden verquatscht habe. Bemerkenswert: Wir haben nicht über alte Zeiten gesprochen, sondern sie einfach zurückgeholt.
Es ist diese Mischung, die Jugend ausmacht: Die überschäumende Albernheit endloser Lachanfälle, das Gefühl von Verbundenheit, die Lust, Grenzen zu überschreiten und die Furchtlosigkeit gegenüber Risiken, weil man sie noch nicht kennt. Dazu die Sehnsucht nach Allure und Erwachsensein - wie gerne wäre man 25 statt 16. Und dann wieder die ironische Distanz zu sich selbst, wenn man sich stundenlang für eine Party stylt, die kaum dreißig Minuten dauert, weil man um 22:00 Uhr zuhause sein muss. Laut und leise, großspurig und verletzlich, naiv und überheblich zugleich - aus all diesen Facetten setzt sich das Mosaik zusammen: Das Gefühl, jung zu sein.
Doch Jugend hat in unserer Gesellschaft eine paradoxe Doppelrolle. Einerseits wird sie romantisch verklärt - als Zeit grenzenloser Möglichkeiten, Leichtigkeit und Abenteuer. Andererseits ist sie längst zu einem knallharten Geschäftsmodell geworden. „Forever young“ ist das Werbeversprechen: Cremes, die jedes Fältchen glätten, Fitness-Apps, die Unsterblichkeit suggerieren, und Filter, die auf Social Media ganze Lebensläufe retuschieren. Hier wird Jugend zur Ware. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002), einer der einflussreichsten Gesellschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts, hat dafür den Begriff des symbolischen Kapitals geprägt. Gemeint ist der immaterielle Wert von Habitus oder Ausdrucksformen, die in einer Gesellschaft hoch angesehen sind - Schönheit, Stil, Bildung oder eben Jugend. Jugend kann man nicht wirklich kaufen, aber sie funktioniert wie eine Währung: Wer jung wirkt, verfügt über ein Gut, das Chancen eröffnet, Zugehörigkeit signalisiert und Attraktivität verleiht. Genau deshalb lässt sich dieses Gefühl so leicht in Produkte übersetzen - vom Schönheitsserum bis zum Lifestyle-Programm.
Wenn ich an meine eigene Jugend in den 1980er Jahren denke, war sie trotz aller Krisen von einer freiheitlich-demokratischen und weltoffenen Gesellschaft geprägt. Wir konnten erstmal „drauflos leben“, weil wir nach dem Studium ohnehin von Arbeitslosigkeit bedroht waren und die Zukunft nicht nur weit entfernt schien, sondern erstmal auf Halde lag. Die Jugend heute wächst in einer anderen Welt auf. Ihr Leben ist durchorganisiert, permanent dokumentiert, bewertet und dank Social Media kuratiert. Dazu kommen Klimakrise, politische Unsicherheit, Kriege und ein Dauergefühl von Bedrohung. Kein Wunder also, dass viele Jugendliche auf den ersten Blick ernster und politischer wirken, zugleich aber auch angepasster. Schon mit elf scheinen Kinder heute „Erwachsene zu spielen“ - ausstaffierte Miniaturen ihrer Eltern, die früh funktionieren müssen. Später, in der Teenagerzeit, kippt das Verhältnis nicht selten: Dann sind es die Eltern, die sich an ihren Kindern orientieren - in Mode, Sprache oder digitalen Routinen. Was einst von Neil Postman als das „Verschwinden der Kindheit“ beschrieben wurde, hat sich verschoben: Heute scheint auch das Erwachsensein zu verschwinden. Forever Young ist das Motto einer Gesellschaft, die ewiges Teenagersein zur äußeren Norm erhebt.
Dabei ist Jugend vor allem die Zeit der intensiven Gefühle: Eine Lebensphase, in der das Leben intensiver schmeckt. Insofern empfinde ich es als tröstlich, dass dieses Lebensgefühl nicht an ein Geburtsdatum gebunden ist. Denn Gefühle lassen sich wachrufen und wiederbeleben - in Begegnungen, mit Musik oder mit Düften. Parfum trifft uns dort, wo unsere Erinnerungen wohnen: Es genügt ein Sprühstoß, und plötzlich ist alles wieder da - mal laut, albern und sorglos, mal still und hoffnungsvoll, mal rebellisch und grenzenlos. Düfte können den ganzen Resonanzraum jugendlicher Emotionen öffnen. Und sie halten fest, was man nicht festhalten kann: Das Gefühl, jung zu sein.