Weihnachten war für mich jahrelang der perfekte Angstgegner: Unmöglich zu ignorieren und nur schwer zu bezwingen. Wer jemals eine Parfümerie zwei Wochen vor dem Fest betreten hat, weiß, wovon ich spreche. Nur war ich keine Kundin, sondern eine Art Dompteurin, die versuchte, jenes Chaos zu bändigen, das kranke Aushilfen, plötzlicher Schneefall, gestresste Kund:innen und ausbleibende Lieferungen zuverlässig verursachten. Die Wochen vor dem Fest habe ich immer als seltsames Zwischending aus Rausch und Koma erlebt. Für feierliche Gefühle war weder Zeit noch Luft – und ich schaffte es gerade so, am 24. im benachbarten Restaurant die fertig gebratene Weihnachtsgans abzuholen.
Heute hingegen bin ich dem jährlichen Endjahres-Trommelfeuer aus Christmaskitsch und Black-Friday-Sales ebenso hilflos ausgesetzt wie jeder andere Mensch auch. Und das, obwohl ich die Mechanismen kenne. Über Weihnachtsmenü, Lichterketten und den passenden Tischschmuck habe ich beispielsweise bereits Mitte September das erste Mal nachgedacht. Fast parallel zu meinem Blumenhändler, der mir nicht nur einen Gutschein zukommen ließ, sondern mich mit einem nahtlosen Spagat vom Totensonntags-Grabschmuck zum Adventsgebinde daran erinnerte, meinen Adventskranz vorzubestellen. Dem schlechten Wetter und der leisen Angst, eine Limited Edition zu verpassen, ist es wohl geschuldet, dass wenig später die erste Weihnachtskerze auf unserem Tisch stand. Komplettiert wurden meine saisonalen Obsessionen schließlich von einem veritablen Zuckerschock Anfang Oktober: Nachdem ich wochenlang versucht hatte, die Wand aus Spekulatius, Lebkuchen, Dominosteinen und Marzipankartoffeln in der Kassenzone zu umschiffen, lachte mich ein Dresdner Stollen plötzlich unverhohlen an, schrie „Nimm mich“ - und landete mitsamt Vanillekipferln und Marzipan im Einkaufswagen. Obwohl draußen Kastanien im Laub lagen und kein Tannenzapfen in Sicht war.
Herzlich Willkommen beim Christmas Creep. So nennt man das stille, aber äußerst effektive Verschieben der Weihnachtszeit nach vorne – mit immer früher startendem Weihnachtsverkauf. Sie liegen also völlig richtig, wenn Sie das Gefühl haben, dass Dominosteine und Marzipanstollen jedes Jahr etwas früher in den Regalen auftauchen. Mitunter bereits Ende August - zu einer Zeit, in der die meisten Menschen lieber im T-Shirt Eis essen. Dabei ist Christmas Creep als Phänomen weit mehr als ein verfrühtes Signal für den Beginn der Saison: Er zeigt, wie präzise Marketing, Psychologie und Erwartungshaltungen ineinandergreifen - und wie mühelos sich unsere innere Gefühlsuhr verschieben lässt.
Weihnachten ist für den Handel das umsatzstärkste Ereignis des Jahres. Insofern wäre es wirtschaftlich betrachtet fahrlässig, diese verkaufsstärkste Phase auf lediglich vier Adventswochen zu beschränken. Also wird seit Jahren an der Saison „geschraubt“, und statt eines Monats erleben wir mittlerweile ein ganzes Weihnachtsquartal. Das Prinzip der Saisonverlängerung klingt harmloser als es ist. Indem Produkte früher verfügbar sind, beginnt unser Konsumzyklus früher, verteilt sich breiter - und bringt vor allem eines: Umsatzsteigerung durch Manipulation, der man sich kaum entziehen kann. So verkürzen beispielsweise frühzeitig platzierte Weihnachtswaren und Süßigkeiten ganz gezielt den emotionalen Weg vom Alltagseinkauf zum weihnachtlichen Konsumalarm: Ein Hauch Zimt hier, eine Vanillenote da, dazu das matte Gold einer edlen Verpackung – und unser limbisches System schaltet auf „Festtagsmodus“. Dazu kommt die Angst, etwas zu verpassen oder nicht rechtzeitig zu bekommen. Und schon steht die Weihnachtskerze lieber im September auf dem Tisch als gar nicht. Mit anderen Worten: Je früher limitierte Editionen erscheinen, desto stärker setzen sie den Mechanismus in Gang, der unsere Kaufentscheidungen beschleunigt: „Wenn ich jetzt nicht zugreife, ist es weg.“
Insbesondere die Beautybranche hat den Christmas Creep perfektioniert: Weihnachtskerzen, Holiday-Kollektionen und limitierte Geschenksets erscheinen heute Ende September. Diese frühe Verfügbarkeit hat nur einen Zweck: Sie erzeugt eine Mischung aus Begehrlichkeit, Exklusivität und latentem Zeitdruck - eine still inszenierte Form von „Jetzt oder nie“. Begleitet wird sie von festlich fashionablen Party- und Holidaylooks auf allen Kanälen sowie von Weihnachtsbeleuchtung und Tannenbäumen - die übrigens nicht nur in den Fußgängerzonen, sondern auch in heimischen Gärten und Wohnzimmern jedes Jahr etwas früher erstrahlen.
Natürlich kann man das alles belächeln und einfach nicht mitmachen. Andererseits ist es symptomatisch für eine Zeit, in der Jahreszeiten, Festtage und Saisons längst ökonomische Rhythmen sind, die Kultur durch Konsum ersetzen. Aber gemäß dem Motto „ändere, was du ändern kannst, und lebe mit dem Rest", kann man das Ganze auch für sich umfunktionieren. Wieso warten, bis Weihnachtskerzen endlich „offiziell“ auf den Markt kommen und wirtschaftliche Interessen darüber entscheiden, worüber wir uns freuen sollen? Eine Kerze ist eine Kerze ist eine Kerze. Sie brennt Ende August genauso schön wie am Heiligen Abend, und Dominosteine sind letzten Endes auch nur Marzipan, Schokolade und Kuchen, die immer schmecken. Wenn da nicht der Zuckerschock mitsamt erhöhter Kalorienzufuhr wäre. Aber selbst da gibt es Abhilfe: Auch wenn Gourmand-Düfte naturgemäß im Winter ihren großen Auftritt haben, sollte man sie tragen, wenn einem danach ist – ob im Juli oder im Dezember. Zumal es bei Gourmands neben den dunkel gehaltvollen Exemplaren auch heitere Varianten gibt. Erstere finden Sie übrigens auf dem unteren Regalbrett, letztere stehen oben.
Natürlich kann man das alles belächeln und einfach nicht mitmachen. Andererseits ist es symptomatisch für eine Zeit, in der Jahreszeiten, Festtage und Saisons längst ökonomische Rhythmen sind, die Kultur durch Konsum ersetzen. Aber gemäß dem Motto „Ändere, was du ändern kannst, und lebe mit dem Rest“ kann man das Ganze auch für sich umfunktionieren. Wieso warten, bis Weihnachtskerzen endlich „offiziell“ auf den Markt kommen und wirtschaftliche Interessen darüber entscheiden, worüber wir uns freuen sollen? Eine Kerze ist eine Kerze ist eine Kerze. Sie brennt Ende August genauso schön wie am Heiligen Abend, und Dominosteine sind letzten Endes auch nur Marzipan, Schokolade und Kuchen – immer köstlich, nur mit variabler Kalorienbilanz.
Und selbst dafür gibt es eine charmante, olfaktorische Abhilfe: Gourmand-Düfte. Auch wenn sie saisonal betrachtet im Winter ihren großen Auftritt haben, sollte man sie tragen, wenn einem danach ist – ob im Juli oder im Dezember. Zumal es innerhalb der Gourmands nicht nur die tiefen, üppigen, dunkel gehaltenen Vertreter gibt, sondern auch helle, luftige und heitere Varianten. Erstere finden Sie übrigens auf dem unteren Regalbrett, letztere oben.
Christmas Creep mag ein Marketingphänomen sein, nichtsdestotrotz freue mich bereits seit 2 Wochen über meinen Tischkranz aus Tannengrün und Wacholderbeeren. Und wenn es nach mir geht, wird der auch im April noch dort liegen. Weihnachten hin oder her.


