Die Dosis macht's

May 08, 2025

„Super, es riecht hier Gott sei Dank nicht wie bei Douglas“. Ein Satz, den ich oft hörte, wenn Kunden das erste Mal meinen Laden betraten. Es waren die Anfänge der Nischenparfümerie, und damals bestand ein deutlicher Unterschied zwischen den sogenannten Industrie- und den Manufakturdüften, die hauptsächlich in meinen Regalen standen. Nischendüfte waren - damals wie heute - nicht unbedingt weniger intensiv, aber sie waren anders strukturiert. Kunden erlebten sie als eine Art olfaktorisches Kino statt als simple Duftwolke. Nun weiß ich zwar nicht, ob Douglas Duftmarketing einsetzt, um seine Filialen einheitlich zu beduften, aber der Verdacht liegt nahe: Es sorgt für ein wiedererkennbares Dufterlebnis. Während in meinem Laden der Duft von offen stehenden Duftkerzen und den Basisnoten der gesprühten Parfums in der Luft hing, addieren sich in klassischen Parfümerien zur Grundbeduftung die oft sehr intensiven „Testreihen“ der Kunden sowie die teils üppig parfümierten MitarbeiterInnen. Das Ergebnis: Was eigentlich begeistern soll, wird in einer ohnehin geruchsintensiven Welt schnell als unangenehm empfunden.

Wer jemals in einem mit "Hypnotic Poison" kontaminierten Supermarkt einkaufen war, im Fahrstuhl neben einer narkotisierend parfümierten Kollegin stand, sich durch eine "Erba Pura"-Wand in die Bahn kämpfte oder sich von einer Überdosis "La Vie Est Belle" das Essen hat verderben lassen, der weiß: Ein Parfum kann ebenso schön wie furchtbar, ebenso passend wie deplatziert sein. Ob wir einen Duft als angenehm oder als Belästigung empfinden, hängt von vielen Faktoren ab: Persönliche Vorlieben, Erinnerungen, Erlebnisse und Emotionen spielen eine Rolle, ebenso wie genetische Dispositionen, die Qualität der Duftstoffe, die Harmonie der Noten und natürlich die Dosierung. Selbst Klima, Wetter oder kulturelle Präferenzen entscheiden mit. Darüber hinaus beeinflussen die momentane Situation und Befindlichkeit die Wahrnehmung eines Duftes. Und nicht zuletzt müssen wir ein Parfum nicht nur tragen, sondern auch ertragen können, d.h. Allergien oder Geruchssensibilitäten entscheiden maßgeblich, ob ein Parfum für uns „Hopp oder Top“ ist.

Was im Privaten reine Geschmackssache ist, wird in öffentlichen Räumen zu einem sensiblen Thema, das Feingefühl und Rücksichtnahme erfordert. Es ist ein Unterschied, ob man sein Parfum am Abend zur Party ausführt oder die Großmutter im Pflegeheim besucht - zumindest, wenn man sich sozialverträglich verhalten möchte. Während ein subtiler Duft im Partygetümmel untergeht, hat ein intensiver Statement-Duft in medizinischen Bereichen nichts zu suchen. Wobei man generell sagen kann, dass es - von ein paar Ausnahmen abgesehen - weniger um die Duftnoten an für sich geht, sondern um die angemessene Dosierung.

Für den Alltag reichen meist zwei kurze Sprühstöße, um eine angenehme Duftpräsenz zu hinterlassen. Bei den heute üblichen hohen Intensitäten oft sogar ein einziger. Viele Düfte gibt es auch in schwächeren Konzentrationen wie EdP oder als Hairperfume. Generell gilt: Ob im Büro, im Restaurant, im Flugzeug oder im Theater - also überall dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen -, ist weniger meist mehr. Wer seinen Lieblingsduft am liebsten in Dauerschleife trägt, sollte bedenken, dass regelmäßige Anwendung hoher Konzentrationen zur olfaktorischen Adaption führt. Man nimmt den eigenen Duft nicht mehr authentisch wahr, ergo wird die Dosis erhöht und das eigene Riechvermögen noch mehr beeinträchtigt.

Übrigens: Je älter man wird, desto schlechter das Riechvermögen.

Während ein dezenter Duft die persönliche Note unterstreicht und für positive Aufmerksamkeit sorgt, wird eine Überdosis wird schnell zur Belastung. Mir hat es immer gereicht, das "Eau de Overkill" mancher KollegInnen beim Betreten des Raumes zu riechen - nicht auf der ganzen Etage. Außerdem gibt es Duftnoten, die besonders polarisieren: Eine kräftige Dosis Cumin erinnert den einen an den Traumurlaub in Goa, den anderen an einen ungeputzten Küchenfußboden. Dominant animalische Noten wie indolischer Jasmin, Zibet, Moschus oder Castoreum können sinnlich und berauschend wirken oder im wortwörtlichen Sinne den Atem rauben. Das heißt natürlich nicht, dass man sich fortan nur mit unverfänglich langweiligem Kölnisch Wasser umgeben sollte. Aber wie immer gilt: Die Dosis macht’s.

Gleichwohl ist eine Duftgarderobe für verschiedene Anlässe und Situationen durchaus sinnvoll - wie bei der Kleidung auch. Und ebenso wie man mit einer weißen Bluse oder einem Hemd plus Blazer oder Cardigan nur selten daneben liegt, sind frische, leichte Zitrus- oder Holznoten meist eine gute Wahl. Denn der perfekte Duft am richtigen Ort ist wie das Salz in der Suppe: Eine Prise kann Wunder wirken, während eine Überdosis alles verdirbt.

Christiane Behmann

Christiane Behmann


Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.